Die abschließende Veranstaltung der in diesem Semester online durchgeführten Landshuter Energiegespräche der Hochschule Landshut befasste sich am 6. Juli 2020 mit dem "Krisenmanagement in Stromnetzen" und der damit verbundenen Versorgungssicherheit. Darin erläuterte Prof. Dr. Alfons Haber, Forschungsschwerpunkt Energie der Hochschule Landshut, dass im Zuge der zunehmenden Einspeisung von regenerativen Energien mit hoher Schwankungsbreite zur Aufrechterhaltung der Strom-Versorgungssicherheit ein deutlich höherer Regelungs-, Vorhalte und Eingriffsbedarf entstanden ist sowie nationale und internationale Netze mit bereits umfassend gelebten Krisenmanagement von großer Bedeutung sind. Wie wichtig eine rationelle Nutzung von regenerativen Energien für den Klimaschutz sowie eine nachhaltige Energieversorgung sind, betonte in seiner Begrüßung Hans Stanglmair, Vorsitzender der Solarfreunde Moosburg, die Kooperationspartner der Veranstaltungsreihe sind. Im Bereich der Energie seien viele Änderungen möglich, Technik sei dabei ein wichtiger Aspekt. Der neue
Bachelor-Studiengang „Systems Engineering und technisches Management“ der Fakultät Maschinenbau, den Dekan Prof. Dr. Marcus Jautze kurz vorstellte, vermittle übergreifende technische und auch betriebswirtschaftliche Fähigkeiten. Dies, um technische Systeme interdisziplinär konzipieren, entwerfen und validieren sowie Lösungen auch im Energiebereich realisieren zu können.
Trotz steigendem Anteil regenerativer Energien bleibt Importabhängigkeit
In seinem Vortrag erläuterte Prof. Dr. Alfons Haber, Prodekan der Fakultät Interdisziplinäre Studien und Experte auf dem Gebiet von Stromnetzen und Netzintegration, der Anteil der Eigenversorgung bzw. der in Deutschland produzierten Energie liege bei ca. 30 Prozent des Primärenergiebedarfs. Auch wenn der Anteil der erneuerbaren Energien deutlich ausgebaut werde, müsse auch weiterhin eine gewisse Importabhängigkeit berücksichtigt werden. Der hohe Anteil der Mineralölprodukte – gerade im Bereich Verkehr – soll langfristig durch Strom substituiert werden, dies stelle eine große Herausforderung für die Energieversorgung der Zukunft dar. Der Bedarf an Primärenergie in Deutschland ging in den vergangenen Jahren zurück, in den privaten Haushalten sei aber trotz Einsparungen in den Bereichen Raumwärme und Energie insgesamt eine Steigerung des Energiebedarfs festzustellen. Beim Stromverbrauch sei u.a. der Anteil für „Information und Kommunikation“ auf mittlerweile 17 Prozent gestiegen, mit zunehmender Digitalisierung, Vernetzung und Automation werde er weiter deutlich nach oben gehen, wie Prof. Dr. Haber erklärte.
Überregionale Stromnetze als grundlegender Baustein
Die Stromerzeugung in Deutschland belief sich in den letzten Jahren auf ca. 600 Terrawattstunden (TWh). Von den durch erneuerbare Energien erzeugten Strom kommen ca. 20 Prozent aus der Photovoltaik, 41 Prozent aus Windenergie am Land, 10 Prozent aus Windenergie am Meer, auch z.B. biogene Stoffe gewinnen hinzu. Der Strombedarf liegt seit dem Jahr 2005 in Deutschland bei ca. 530 – 540 TWh, die installierte Kraftwerksleistung habe zugenommen, diese sei aber nicht gleichzusetzen mit verfügbarer Kraftwerksleistung. Neben der produzierten Menge, müsse auch betrachten werden, wie viele Volllaststunden im Jahr Strom erzeugt werde und zur Verfügung stehe. Bayern verfüge über eine hervorragend ausgebaute PV-Struktur, die ihr Beispiel sucht. Doch zeitliche Lücken bei der Erzeugung durch regenerative Energien wie Wind- und Photovoltaikanlagen müssen durch andere Energiequellen auch über Ländergrenzen hinweg ausgeglichen werden. Dabei betonte Prof. Dr. Haber die Bedeutung von Stromnetzen, die für die nötige Versorgungssicherheit sorgen. Doch gerade beim Stromtransport von Nord nach Süd gäbe es markanten Nachholbedarf. Durch den Rückbau von konventionellen Kraftwerken bis 2022 werde, nach heutigem Stand, Deutschland im Falle einer kritischen Versorgungssituation auf Importe angewiesen sein. Im Jahr 2018 habe es in Deutschland ca. 14 Minuten Stromausfall gegeben, dies sei im internationalen Vergleich ein sehr guter Wert. Doch seien immer mehr Eingriffe nötig, um die Netz- und Systemsicherheit aufrecht erhalten zu können. Diiese hätten im Jahr 2019 Kosten in Höhe von ca. 1,2 Mrd. Euro verursacht. Zusätzlich seien Maßnahmen notwendig, um Leitungsabschnitte vor einer Überlastung zu schützen (Redispatch).
Schnelle Reaktion bei schwankender Stromabdeckung erforderlich
Und die Regelung des Stromnetzes müsse enorm schnell gehen, da in jeder Sekunde ein Gleichgewicht zwischen Erzeugung und Verbrauch hergestellt werden müsse. Dies gelte für die Grundlast ebenso wie für schnell auftretende Spitzenlasten. Die Primärregelung für wichtige Bereiche erfordere von Regulierungskraftwerken innerhalb von 30 Sekunden, die Sekundärregelung nach 5 Minuten volle Leistung zu bringen. Regelbare Kraftwerke, die z.B. mit Gas betrieben werden, seien ebenso wichtig, wie Stromnetze, die regional, überregional und auch international Strom aufnehmen, transportieren und auch abgeben können. Allein diese Reservekraftwerke kosten rund 200 Mio. Euro im Jahr, wie Prof. Dr. Haber ausführte. Im Juni 2019 habe es drei Mal eine Unterdeckung im deutschen Stromnetz gegeben, bei der man auf europäische Partner zurückgreifen musste. Die Preise hierfür seien extrem teuer, so stiege der Strompreis von normal ca. 40 Euro auf bis zu 40.000 Euro pro MWh. Ein hoher Anteil von erneuerbarer Energie bedeute nicht hohe Versorgungssicherheit, so habe es ebenfalls am 4. Juni 2020 eine Unterdeckung gegeben, bei der die Ursache Prognosefehler für die Erzeugung von regenerativer Energie waren. Doch auch eine Stromüberdeckung sei häufig zu verzeichnen, in den ersten dreieinhalb Monaten des Jahres 2020 habe es als Folge 147 Stunden negative Strompreise gegeben, in diesen Fällen wird Geld gezahlt, wenn Strom verbraucht wird, dies trat z.B. am Ostermontag auf, hier lag der Strompreis bei minus 78,15 Euro. In einer ifo-Studie im Auftrag der IHK München und Oberbayern wurden Szenarien für die bayerische Stromversorgung bis 2040 entwickelt. Trotz eines angenommenen verstärkten Zubaus von erneuerbaren Energien, Gaskraftwerken oder KWK-Anlagen reichte in allen Szenarien die in Bayern installierte Erzeugungsleistung nicht aus, um den Strombedarf zu jeder Zeit decken zu können, besonders bei Windarmmut oder Nacht seien Importe nötig. Dafür wiederum seien die erforderlichen Netzkapazitäten und ein Krisenmanagement nötig, um kurzfristige und auch langfristige Versorgungssicherheit erreichen zu können. Bei einem Ausfall drohen ernste Auswirkungen auf kritische Infrastruktur und damit die Gesellschaft. Alltägliche Maßnahmen und Mittel für die Vermeidung und Reduzierung von Schaden reichen nicht mehr aus. Es müsse auch mit längeren und großflächigen Unterbrechungen der Stromversorgung, mit Netzüberlastungen durch technische oder menschliche Fehler, durch Wetterereignisse oder auch vorsätzliche Angriffe auf die Infrastruktur gerechnet werden. Dabei müsse ein Krisenmanagement auf Szenarien ausgelegt sein, bei denen die Stromversorgung über 8, 24 oder mehr Stunden bedroht sei. Kritische Infrastrukturen müsse ebenso identifiziert werden, wie die erforderlichen Akteure und deren Zusammenarbeit, die Kommunikation koordiniert und ein Wissensmanagement etabliert werden. Insgesamt müsse eine zukunftsfähige Netz- und Erzeugungsinfrastruktur aufgebaut werden, um gemeinsam für eine langfristig haltbare und sichere Stromversorgung sorgen zu können. Die vielen Fragen im Anschluss an den Vortrag, moderiert von Hans Stanglmair, zeigten das große Interesse der bis zu 70 online zugeschalteten Teilnehmer/innen. Die Vorträge der Landshuter Energiegespräche im SoSe 2020 wurden aufgezeichnet und stehen unter
www.haw-landshut.de/la-energiegesprache zur Verfügung. (pp)