Bei der Podiumsdiskussion „Zwischenbilanz der Energiewende – muss wieder über Kernenergie nachgedacht werden?“ am 23. Oktober 2020 waren sich die Experten/innen einig, dass ein Umdenken und verstärkte Anstrengungen von allen Seiten nötig sind, um die vereinbarten Klimaziele zu erreichen. Der Ausstieg aus Kernkraft und Kohle ist beschlossene Sache, wie und ob der Ausfall dieser Energiequellen durch einen Ausbau der Erneuerbaren Energien kompensiert werden könne, wurde diskutiert. Die vorgeschlagenen Maßnahmen reichten von der Verteuerung von CO2-Emissionszertifikaten über die Steuerung durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) und Investitionsanreize für Energiespeicher bis hin zur Möglichkeit, bestehende Atomkraftwerke zum Ausgleich der entstehenden Versorgungslücke doch weiter zu nutzen. Nötig sei aber vor allem die Senkung des Energieverbrauchs, u.a. durch eine Verhaltensänderung jedes Einzelnen. Mehr als 120 Teilnehmer/innen nutzten die Gelegenheit, sich über den Stand der Energiewende zu informieren und mitzudiskutieren. Corona präge die Berichterstattung in den Medien, den wissenschaftlichen Diskurs auch bei anderen gesellschaftlich wichtigen Themen aufrechtzuerhalten, sei aber nach wie vor von großer Bedeutung, betonte Hochschulpräsident Prof. Dr. Fritz Pörnbacher in seiner Begrüßung. Energie- und Kernenergie seien stark emotional besetzte Themen, umso mehr freue er sich auf eine sachlich und wissenschaftlich geführte Diskussion mit vielen Anregungen und Denkanstößen.
Zwischenbilanz der Energiewende
Die Moderatorinnen der Veranstaltung, Prof. Dr. Petra Denk und Prof. Dr. Barbara Höling (beide Hochschule Landshut) zogen zu Beginn eine kurze Zwischenbilanz der Energiewende. Darüber, dass der durch den Menschen verursachte Klimawandel stattfinde, herrsche in der Wissenschaft Konsens, ebenso darüber, dass der Klimawandel reduziert oder sogar gestoppt werden müsse. Die Politik habe reagiert, indem die EU und Deutschland Klimaziele definiert haben. So solle bis 2050 im Vergleich zu 1990 die Treibhausgase um 80 - 95 Prozent reduziert werden. Der Anteil der erneuerbaren Energien soll auf 60 Prozent des gesamten Endenergieverbrauchs massiv ausgebaut, der Primärenergiebedarf gegenüber 2008 um 50 Prozent reduziert werden. In Deutschland konnten die Treibhausgasemissionen bis 2020 um ca. 40 Prozent gesenkt werden. Ein deutlicher Rückgang sei aber vor allem in den Jahren 1990 bis 1995 mit dem Wegfall von alten Kohlekraftwerken in Ostdeutschland zu verzeichnen gewesen. Die Erneuerbaren Energien wurden ausgebaut, die Frage laute, ob das Tempo ausreichend sein wird. Die Stromnachfrage werde durch die zunehmende Elektrifizierung enorm wachsen. Der Anteil der Kernenergie sei dabei rückläufig, der Ausstieg beschlossen. 2022 werde das letzte Kernkraftwerk vom Netz gehen. Zusätzlich sei bis 2038 der Kohleausstieg geplant. „Ein Kraftakt liegt vor uns, um Treibhausgasse massiv reduzieren zu können,“ ist Prof. Dr. Denk überzeugt. Die Frage laute, wie wir den Klimawandel reduzieren oder sogar stoppen können, was die richtigen Maßnahmen seien, um die Ziele bei garantierter Stromversorgung zu erreichen. Dies diskutierten die beiden Moderatorinnen mit vier Experten/in. Eine Frage der Veranstaltung lautete, ob die Diskussion um die Kernenergie neu geführt werden müsse.
Kosten für Erneuerbare Energien stark gesunken
Es habe eine enorme Preissenkung bei Photovoltaik-Anlagen und Windenergie gegeben, erläuterte Dr. Berit Erlach (Deutsche Akademie der Technikwissenschaften e.V., München). Dadurch sei es auch wirtschaftlich sinnvoll, auf Erneuerbare Energien zu setzen. Dieser Strom sei nicht nur sauberer, sondern auch günstiger als der aus Kohle oder Atomkraft. Allerdings habe der Ausbau von Wind- und Sonnenenergie in den letzten Jahren stark nachgelassen. Der Emissionshandel sei ein gutes Instrument, das verstärkt werden müsse, um Emissionen zu senken. Grundproblem sei, dass die Gesellschaft den Klimawandel nicht ernst genug als Bedrohung der Menschheit nehme. Frau Dr. Erlach plädierte für Verhaltensänderungen, räumte aber ein, dass dies ein schwieriger Aushandlungsprozess mit der Gesellschaft sei. Positive Effekte erhofft sich auch Dr. Thomas Schlegl (Fraunhofer Institute for Solar Energy Systems ISE, Freiburg) von den verbilligten Gestehungskosten von Erneuerbaren Energien. Die Börsenstrompreise seien aufgrund des zunehmenden Ausbaus der Erneuerbaren Energien gesunken. Für Betreiber von Kohlekraftwerken werde zukünftig die Einspeisung von Energie wegen der zu kaufenden Emissions-Zertifikate zunehmend teurer. Bei Atomkraftwerken sei dieser Effekt nicht vorhanden, doch sei Betrieb, Abriss und Entsorgung von KKWs so teuer, dass sie ohne Subventionen nicht rentabel zu betreiben seien. Zusätzlich bestehe ein prinzipieller Systemkonflikt zwischen Kernenergie und der dezentralen Einspeisung der Erneuerbaren Energien. Für die Versorgungssicherheit seien Erneuerbare Energien nicht schädlich, die Versorgungunterbrechungen seien seit 2006 rückläufig. Er plädiere für eine Investitionssicherheit im Bereich der Erneuerbaren Energien, fordere ein Marktanreizprogramm, das über den Strompreis abgerechnet werden soll, zusätzlich sollten Incentives sollten dafür sorgen, dass Speichertechnologien stärker in den Markt kämen.
Atomenergie notwendig für Senkung des CO2-Ausstoßes?
Für Prof. Dr. Friedrich Wagner (Max-Planck-Institut für Plasmaphysik, Garching/Greifswald) ist die Dekarbonisierung all unserer Lebensbereiche die zwingende Aufgabe. Erneuerbare Energien wie Wind, PV usw. seien für eine zuverlässige Energieversorgung nicht ausreichend verfügbar, auch seien Energiespeicher notwendig, deren Wirtschaftlichkeit er aber nicht erkennen könne. Für ihn sind die Klimaziele 2050 wie jetzt geplant nicht erreichbar, „Deutschland wird seinen Beitrag ohne Kernkraft nicht einlösen können, nicht vom Umfang und nicht von den Kosten her“, ist er überzeugt. Die Strompreise für Verbraucher seien schon heute mit die teuersten in Europa. Auf Nachbarn und andere Lieferländer zur Stromversorgung zu setzen sei falsch. Deutschland habe sich entschieden, schnell aus der Kernkraft und langsam aus der Kohle auszusteigen. Frankreich z.B. sei zuerst aus Kohle ausgestiegen und habe deshalb eine wesentlich bessere CO2-Bilanz. Bei einem Kernenergie-Anteil von mehr als 70 Prozent produziere Frankreich seit Jahrzehnten Strom klimaschonend auf einem Niveau, das Deutschland erst in 30 Jahren erreichen will. Klimaneutralität sei technisch auch ohne Kernenergie möglich, wie Prof. Dr. Andreas Luczak (Professur für Nachhaltige Energietechnologien, Hochschule Kiel) betonte. Allerdings ist auch er der Meinung, dass man nicht sofort aus der Atomkraft aussteigen müsse. Bereits abgeschriebene KKWs seien eine günstige Lösung, hier habe man ohne Not viel lahmgelegt. Wind- und PV-Anlagen seien zwar günstiger geworden, für eine zuverlässige Versorgung seien aber teure Speicher notwendig. Der europäische Emissionshandel sei ein sehr gutes Instrument, müsse aber auf alle Sektoren, auch Wärme und Mobilität, ausgedehnt und die CO2-Mengen schnell reduziert werden, ohne vor Lobbygruppen einzuknicken. Ebenso wie die anderen Podiumsteilnehmer unterstrich Prof. Dr. Luczak die Rolle der Verhaltensänderung des Einzelnen. Weniger Fliegen, Mobilität verändern, weniger Quadratmeter Wohnfläche sowie weniger Fleischverzehr nennt er als Beispiele. „Wenn wir so weitermachen wie heute, wird es mehr als 100 Jahren dauern, die Ziele zu erreichen“, ist er überzeugt. Der Gesetzgeber müsse deutliche Entscheidungen fällen, Deutschland habe genug Fläche, um PV und Windenergie auszubauen. Er spricht sich für Energiespeicher aus, aber erst für die letzten 10 bis 20 Prozent der Klimaziel-Umsetzung. Bis dahin sei es günstiger, Netze auszubauen und überflüssige Anlagen abzuregeln. Die unterschiedlichen Argumente und die vielen Fragen im Anschluss an die Podiumsdiskussion zeigten, dass nach wie vor Bedarf für einen Diskurs im Bereich der Energiewende besteht. Die Veranstaltung wurde aufgezeichnet, sie ist unter
www.haw-landshut.de/la-energiegespraeche abzurufen. Hier finden Sie auch Informationen zu den Landshuter Energiegesprächen und die nächste Veranstaltung: Das Thema lautet „Nachhaltige Klärschlammentsorgung im ländlichen Raum – das Projekt greenIKK“, Referentin: Julia Straub (Technologiezentrum Energie der Hochschule Landshut). Die Veranstaltung findet online statt, Termin: Montag, 18. Januar 2021, 18.30 Uhr. Die Anmeldung erfolgt über den oben genannten Link.