Die Energiewende ist für Raimund Kamm (Sprecher LEE Bayern, Landesvertretung Bayern des Bundesverbands erneuerbare Energie e.V.,) ohne Alternative und sogar mit den vorhandenen Techniken machbar, sie erfordert jedoch enorme Anstrengungen von allen. Den Weg dorthin skizzierte er in seinem Vortrag „Der Weg zu einer Energiewende mit 100 Prozent erneuerbaren Energien“ am 10. Januar 2022 im Rahmen der Landshuter Energiegespräche der Hochschule Landshut. Prof. Dr. Josef Hofmann freute sich in seiner Begrüßung über die große Zahl von mehr als 170 online zugeschalteten Teilnehmern*innen, die das große Interesse am Thema der „German Energiewende“, die auch in anderen Ländern zum Begriff geworden sei, verdeutliche. Allerdings werde diese Energiewende aktuell ausgebremst, z.B. durch die 10H-Regel in Bayern für Windkrafträder. Auch die geplante Taxonomie in der EU, bei der Atomenergie und Gaskraft als „grüne Energie“ eingestuft werden sollen, sei der falsche Weg. Hans Stanglmair (Solarfreunde Moosburg), der die Veranstaltung moderierte, betonte, der Klimawandel sei bereits Realität und er bedrohe die Gesellschaft existenziell. Beim Ziel, den CO2-Ausstoß zu verringern sei viel Zeit verloren worden, die nunmehr erforderlichen Einschnitte müssen härter werden.
Raimund Kamm zeigte in seinem Vortrag auf, wie aus seiner Sicht der Weg zu einem Klimawandel mit 100 Prozent erneuerbaren Energie gelingen kann. Er betonte „alle die sich mit dem Thema befassen wissen, dass es dramatisch wird und sind verzweifelt, dass es nicht schnell weitergeht“. Der CO2-Gehalt in der Luft, Haupteinflussfaktor für den Temperaturanstieg, sei in den letzten Jahrzehnten enorm gestiegen, liege heute bei ca. 410 ppm. Die Erdtemperatur steige mit Verzögerung und werde weiter zunehmen. Das verfügbare CO2-Restbudget, das nicht überschritten werden dürfe, um den Temperatursteigerung zu bremsen sei in ca. 10 Jahren aufgebraucht. Umso wichtiger sei es, den CO2-Ausstoß schnell zu verringern und auf regenerative Energien zu setzen.
Vierfache Menge an erneuerbarer Energie notwendig
Die erneuerbaren Energien hätten im Corona-Jahr 2020 knapp 50 Prozent des Energieverbrauchs gedeckt, 2021 sei der Anteil etwas gesunken. Das Ziel müsse aber lauten 100 Prozent mit regenerativen Energien zu decken. Und der Strombedarf werde um rund das doppelte, auf 1000 TWh pro Jahr, steigen. „Für die Energiewende brauchen wir also rund viermal so viel Strom aus erneuerbaren Energien wie heute,“ erläutert Kamm. Er ist überzeugt, dass alle Techniken verfügbar sind, um die Energiewende mit 100 Prozent regenerativen Energien schaffen zu können. Und auch die ökonomischen Rahmenbedingungen hätten sich äußerst positiv verändert: Große PV-Anlagen würden heute Strom um 90 Prozent günstiger erzeugen als vor 20 Jahren, dies zu Preisen von 4 bis 5,5 Cent pro kWh. Auch Strom aus Windkraft koste nur noch halb so viel wie vor 10 Jahren und die Produktionspreise würden weiter sinken. Um die Wetterabhängigkeit der erneuerbaren Energien ausgleichen zu können sollten Anlagen weit verteilt über Deutschland, Europa oder Nordafrika sein und mit moderner Technik - Hochspannungs-Leitungen hätten nur noch Hälfte des Verlustes, den sie früher hatten - vernetzt werden. Auch Speichertechnologien hätten sich in den letzten Jahren enorm entwickelt und werden zunehmend wirtschaftlich attraktiv: große Speicher bei Umspannwerken kosten heute 90 Prozent weniger als vor 10 Jahren. Weil viele Atomwerke aus dem Mark gehen, die vorher mit Dumpingpreise das Niveau für Energiepreise gesenkt hätten - die Folgekosten seien auf die Gesellschaft verlagert wurden - sei das Preisniveau an der Strombörse gestiegen. Dadurch könnten jetzt z.B. auch kleinen Wasserkraftanlagen wirtschaftlich betrieben werden, ähnliches gelte für Biogasanlagen.
Ausbau von Solar und Windkraft
„Solar und Windkraft sind die Arbeitspferde der Energiewende“, ist Kamm überzeugt. Für den Ausbau der Photovoltaik müssten Hemmnisse beseitigt werden. Alte Häuser energetisch zu sanieren sei beispielsweise ebenso wichtig und wie die PV-Flächen auszubauen. Er spricht sich klar für eine Solarpflicht bei Gewerbebetrieben aus, die mit der eigenen PV-Anlage ihre Energiekosten senken können. Als innovatives Beispiel zeigt er auch senkrecht zu stellende PV-Anlage auf dem Land, um mit Traktor dazwischen Bewirtung machen zu können.Auch Windkraft müsse enorm ausgebaut werden. Eine Windkraftanlage liefere aktuell durchschnittlich rund 7 Mio. Kilowattstunden Strom pro Jahr, im Norden Deutschland könnte durch „Repowerment“ von alten Anlagen die erzeugte Strommenge stark erhöht werden. Im Süden sei dagegen ein deutlicher Ausbau notwendig: In Bayern stehe durchschnittliche eine Windkraftanlage auf 60 Quadratkilometer Fläche, in Schleswig-Holstein auf 4 Quadratkilometern. Die bayerische 10H-Regel müsse unbedingt wegfallen. Windkraftanalgen sollten gerade auch in Gewerbegebiete und Werken entstehen, wie dies z.B. auf dem Werksgelände von VW der Fall sei. Grundlegend sei es, die erneuerbaren Energien mit ihren unterschiedlichen Erzeugungsprofilen im Mix zu nutzen. Solar bringe ab den Monaten April, Mail viel, im Winter dagegen wenig, bei Windkraft sei dies genau umgekehrt. Auch die Wasserkraft, in Bayern traditionell eine wichtige Energiequelle, sei wetterabhängig, bei trockenem Sommer gehe die erzeugte Menge auf bis zu 30 Prozent runter. Auch für Biogasanlagen sieht er Potenzial, da man sie nach Bedarf steuern, Gas speichern und sie nur laufen lassen könne, wenn der Strom rar bzw. teuer ist.
Auch das Last- oder Verbrauchsmanagement sei von zentraler Bedeutung: So müsste Stromverbrauch dann stattfinden, wenn viel PV-Strom erzeugt werde. Dies gelte für die Waschmaschine im Haushalt ebenso wie für Stahlwerke oder Kühlhäuser. Aber auch Speicher hätten großes Potenzial: Die Schweiz oder auch Norwegen hätten viele Speicherkraftwerke, die genutzt werden, wenn wenig Energie zur Verfügung stehe. Auch bei großen Energiespeichern seien die Preise in 10 Jahren um 90 Prozent gesunken. Die chemische Speicherung von Energie und auch Gaskraftwerke seien als Reserve nötig, um Engpässe auffangen zu können, die aber laut Kamm nur 5-7 Tage im Jahr auftreten würden. Je mehr PV-Anlagen und Windkraftwerke vorhanden seien, desto weniger müssten sie laufen.
Grundlegende Bedingungen für die erfolgreiche Energiewende
Einige grundlegende Aspekte müssten erfüllt werden, um die Energiewende meistern zu können. So müssten die Strompreise die ökologische Wahrheit widerspiegeln und räumlich und zeitlich flexibilisiert werden. Gerade die von der EU vorgeschlagene Taxonomie dürfe die Umwelt nicht nachhaltig belasten, es ist für ihn daher völlig unmöglich, hier Atomkraft mit seinen Altlasten oder auch Gas aufzunehmen. Auch sei es „ein Irrsinn“, dass Energie aus dem Norden nicht nach Bayern transportiert werde. Der Ausbau gerade von PV und Windkraft müsse schnell erfolgen, auch Groß-Batterien könnten jetzt wirtschaftlich neutral für die Speicherung genutzt werden. Deutschland sei beim Thema Versorgungssicherheit weltweit mit führend, die Aufgabe werde durch die erneuerbaren Energien anspruchsvoller, werde aber ökonomisch gelöst, ist er überzeugt. Einsparen, Effizienz und erneuerbare Energien seien die nötigen Handlungsfelder für die Energiewende, dies in den drei Sektoren industrielle Stoffprozesse (Ammoniak, Chlor, Stahl, Wasserstoff, Zement, …), Verkehr und Wärme, in dem viel mehr umweltfreundlich mit erneuerbaren Energien erzeugter Strom eingesetzt werden müsse. Das System von Steuern, Abgaben und Umlagen müsse dringend überarbeitet werden, Marktkräfte könne man mehr wirken lassen. Doch sei die Energiewende eine Aufgabe aller, er appelliert an die Teilnehmer klimabewusst zu handeln, um so die Energiewende voranbringen zu können.
Veranstaltet werden die Landshuter Energiegespräche vom Forschungsschwerpunkt Energie, dem Technologiezentrum Energie und dem Institut für Transfer und Zusammenarbeit der Hochschule Landshut, unterstützt werden sie durch die Partner Solarfreunde Moosburg und Freundeskreis Maschinenbau der Hochschule.Weitere Informationen unter
www.haw-landshut.de/la-energiegespraeche