Josef Martin Gaßner ist Youtuber – mit 54 Jahre, mit Doktortitel in Astrophysik. Und mit einem Lehrauftrag an der Hochschule Landshut. Die Nutzer haben seine Videos fast 60 Millionen Mal angeschaut – ein unwahrscheinlicher Erfolg: Gaßner macht nichts so, wie Youtuber sollten.
Die Optik ist nüchtern, alles sehr unaufgeregt: Meistens steht Gaßner oder jemand aus dem Team vor einem statischen Weltraumhintergrund oder einer Tafel und hält einen Vortrag. Ab und zu ein Bild, eine Folie, eine Formel. Und Gaßners leuchtende Augen, wenn er physikalische Phänomene erklärt.
Was zählt, sind die Inhalte: Als der Mars-Rover Bilder vom Nachbarplaneten schickt, sind die Medien voll davon, auch Youtube. Aber Gaßner hält sich auf seinem Kanal zurück, erst drei Wochen danach geht sein Video zur Perseverance-Mission online. Wenn die Fakten aufbereitet sind – nicht, wenn die Klicks zu holen sind. Gaßner pfeift seit dem ersten Video im September 2014 auf Youtube-Konventionen – er will Wissen vermitteln und Wissenschaft verständlich aufbereiten.
2 300 Jahre voller Gaßner-Videos
„So weit wie möglich vereinfacht, aber nicht weiter, als es noch korrekt ist“, sagt Gaßner. Die Zuschauer wissen das zu schätzen: 20 Millionen Stunden von den etwa 650 Videos des Kanals haben sie schon geschaut – das sind 2 300 Jahre. Der Kanal hat 210 000 Abonnenten, dreimal so viele Menschen schauen zu, weiß Gaßner. Darunter Wissenschaftler, Doktoranden, Ingenieure. Aber auch viele Mediziner und völlig Fachfremde. Die Videos sind in Kategorien aufgeteilt, Einsteiger holt Gaßner genau so ab wie Experten. Auf der Webseite des Kanals stellen die Fans im Forum Fragen, Gaßners Team antwortet.
Das Team, das sind befreundete Wissenschaftler und kleinere Youtuber, die Gaßner aufgesammelt hat, damit alle gemeinsam ihre Reichweite steigern. „Ein hochwertiges Gesamtpaket, das die kritische Masse erreicht hat“, sagt Gaßner. Die Arbeit am Kanal wäre längst ein Vollzeitjob. Wenn Gaßner wollte, könnte er davon leben, erzählt er. Will er aber nicht: Nur alle halbe Stunde kommt Werbung, das ist selten, für Youtube-Verhältnisse. Nur dank der Spenden der Zuschauer ist der Kanal kein Minusgeschäft. Immerhin die 20 Euro für die Schnittsoftware hat Gaßner so finanziert, im Keller hat er sich ein Studio mit Greenscreen eingerichtet, auch die Kamera ist eine bessere als noch vor knapp fünf Jahren.
Etwa so lang lehrt Gaßner an der Landshuter Hochschule Astronomie und Kosmologie. Bei seinen Videos geht es um das gleiche wie in den Vorlesungen. Das Wissen der Zuhörer wird tiefer statt breiter, immer spezieller. Zu speziell, findet Gaßner. „Irgendwann wissen die Leute von nichts alles.“ Er will etwas anderes vermitteln: „Das große Bild.“
Interview mit Dr. Gaßner
„Zensur kann nicht die Antwort sein“
Josef M. Gaßner über Richtig und Falsch und die Rolle der Wissenschaftler in den Medien
Herr Gaßner, seit der Corona-Krise steht die Wissenschaft mehr im öffentlichen Fokus als vorher. Warum kommt nicht jede Information richtig beim Zuhörer an?
Josef M. Gaßner:
Nie zuvor war es einfacher, an Information zu gelangen. Doch wir erleben eine Hochkonjunktur von alternativen Theorien. Es ist also weniger eine Frage des „richtigen Ankommens der Information“, sondern vielmehr ein Dissens in der Interpretation der Fakten, ihrer Auswirkungen und der Glaubwürdigkeit ihrer Quellen. Bereits die Formulierung „richtig“ in Ihrer Frage zeigt wie unterschiedliche Meinungen heutzutage in Kategorien von Richtig und Falsch bewertet werden.
Aber so einfach ist es nicht?
Gaßner: Damit ziehen wir einen tiefen Graben durch unsere Gesellschaft – das erscheint mir brandgefährlich. Andersdenkende sind „Verschwörer“, wer Parteien wählt, die man selbst nicht gutheißt, ist „Protestwähler“. Wenn wir in dieser hitzigen Gemengelage unseren Kompass verloren haben, sind wir gut beraten, uns auf das Fundament unserer Gesellschaft zu besinnen: das Grundgesetz. Darin finden sich keine Menschen unterschiedlicher Klassen und jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort und Bild frei zu äußern. Wer eine demokratisch legitimierte Partei – egal welcher Couleur – wählt, dessen Stimme ist gleichermaßen wertvoll. Es liegt an jeder Partei, das bessere Programm vorzulegen, bessere Lösungen zu präsentieren – dann werden die Wähler*innen ihr Kreuz an der gewünschten Stelle machen. Wir müssen inhaltlich überzeugen – Widerlegung durch Verun glimpfung Andersdenkender ist der falsche Weg.
Welche Rolle spielen dabei die (sozialen) Medien?
Gaßner: Ohne dass es den meisten Menschen bewusst wäre, stellen soziale Netzwerke unsere erste große Auseinandersetzung mit künstlicher Intelligenz dar. Wenn wir beide diese Zeitung lesen, werden wir den Inhalt unterschiedlich bewerten, aber zumindest treffen wir unsere Einschätzung auf Basis identischer Information. Geben wir hingegen beide identische Suchbegriffe im Internet ein, wird jeder von uns auf ihn zugeschnittene, personalisierte Informationen erhalten. Mein bisheriges Verhalten im Internet wird einen Algorithmus dazu veranlassen mir diese oder jene Information anzubieten.
Und das birgt Gefahren?
Gaßner: Die KI verfolgt primär keinen bösen Willen, sondern soll Werbung und Konsument effizient zusammenführen. Wer sich viel mit einem Thema beschäftigt, der wird über dazu passende Produkte informiert. Wenn ich morgens den PC hochfahre und Yoga-Produkte angeboten bekomme, weiß ich, dass meine liebe Frau wieder im Netz unterwegs war. In Fragen der Meinungsbildung erweist sich das jedoch als fatal: Wer Artikel zu einschlägigen Überzeugungen liest, dem werden immer mehr solche Treffer im Netz angeboten. Es bildet sich eine verzerrte Wahrnehmung, die man Filterblase nennt. Das betrifft übrigens alle Meinungslager gleichermaßen und polarisiert unsere Gesellschaft immer weiter. Jeder Nutzer im Internet sollte sich der Gefahr seiner eigenen Filterblase bewusst sein.
Trotzdem sehe ich oft Beiträge außerhalb der eigenen Blase. Wie gehe ich mit Menschen um, die Fakten ignorieren und leugnen?
Gaßner: Mit Respekt! Wir müssen uns darauf besinnen, Menschen und ihre Meinungen getrennt voneinander zu behandeln. Jeder Mensch das Recht zur freien Meinungsäußerung – selbst wenn er der Auffassung wäre, dass zwei und zwei gleich fünf ist. Das macht ihn weder zu einem besseren noch einem schlechteren Menschen.
Ein Problem ist es aber dennoch?
Gaßner: Natürlich schmerzt es mich, wenn ich sehe, wie junge Menschen durch sogenannte Influencer auf Youtube in einer Form beeinflusst werden, die ich nicht gutheiße. Die Zensur und Löschung dieser Accounts oder Kanäle kann aber nicht die richtige Antwort darauf sein. Wenn wir zulassen, dass sich jemand aufschwingt, um den Daumen zu heben oder zu senken über die Meinungsfreiheit anderer, dann verletzen wir unsere Verfassung und verlieren unser demokratisch legitimiertes Fundament. Die Politik denkt in Mehrheiten – in der Naturwissenschaft ist es leider nicht so einfach. Selbst wenn alle einer Meinung sind, so können doch alle irren – deshalb ist der Zweifel stets legitim und wir können Andersdenkende nicht überstimmen.
Gibt es trotzdem eine Lösung?
Gaßner: Überzeuge durch Argumente und Kompetenz – Stelle ein besseres Angebot dagegen – bleibe immer unabhängig und objektiv – räume ein, wenn du Fehler machst - bilde Vertrauen durch reproduzierbare Fakten und eine inhaltliche, sachliche Auseinandersetzung. Das ist es, was mich antreibt. Das ist der mühsamere Weg – aber das sind wir uns allen schuldig.
Quelle: Florian Pichlmaier, Landshuter Zeitung