Das Phänomen des Körperkults in unserer Gesellschaft beleuchtete der Soziologe Prof. Dr. Robert Gugutzer im Rahmen des Wissenswerk Landshut an der Hochschule Landshut. Die Frage, ob der Kult um den Körper eine zeitgemäße Form von Religion sei, beantwortete der Referent vor rund 150 interessierten Gästen mit einem klaren „Ja“. Hochschulpräsident Prof. Dr. Karl Stoffel bedankte sich bei den Kooperationspartnern BMW Werk Landshut sowie Hochschulgemeinde für ihr Engagement, die die Veranstaltungsreihe Wissenswerk Landshut erst ermöglichen. Das Wissenswerk, in dem sich renommierte Wissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen mit dem Wissen über das Wissen befassen, sei ein „muss“ für die Hochschule Landshut, dass sich über das reine Fachwissen hinaus Interdisziplinarität zum Ziel seiner akademischen Ausbildung gesetzt habe.
Funktionale Begriffsdefinition von Religion
In seinem Vortrag „Der Kult um den Körper. Eine zeitgemäße form von Religion?“ betonte Gugutzer (Professor für Sozialwissenschaften des Sports an der Goethe-Universität Frankfurt/Main), das Thema Körperkult sei in aller Munde. Es werde in den Medien aber auch in der Wissenschaft häufig negativ belegt. Mit dem Begriff „Kult“ gehe eine negative moralisch ethische Wertung einher. Positiver könnte man auch von einer gestiegenen Aufmerksamkeit gegenüber dem Körper, einer neuer Wertschätzung sprechen. Dabei bezeichne der der lateinische Begriff „cultus“ an sich etwas Positives, nichts Unnatürliches, sondern Verehrung (einer Gottheit), Pflege und Bildung. Auch der Begriff Religion, der bei uns metaphysisch definiert sei, sei eine Prägung des Abendlandes und keineswegs so eindeutig, wie er scheint. Prof. Dr. Gugutzer bedient sich eines funktionalistischen Religionsbegriffs. Nach Thomas Luckmann sei die Funktion der Religion die Vergesellschaftung des Umgangs mit Transzendenz, der Grenzüberschreitung zwischen alltäglichen und außeralltäglichen Erfahrungen. Über Sozialisationsprozesse werde der Mensch er selbst und ein Teil der Gesellschaft. Die gesellschaftliche Organisation sei eine Transzendenzerfahrung, die nicht beim Jenseits sondern am Diesseits ansetze , die auf Grenzen der alltäglichen Erlebniswelt hinweisen. Dabei habe sich die Religion verändert: Sei sie früher für das alltägliche soziale Leben bestimmend gewesen, habe sie sich im Laufe der Zeit zu etwas Privatem entwickelt und finde im Individualismus jedes Einzelnen Niederschlag. Lege man also einen funktionalistischen Religionsbegriff zu Grunde, erfülle der Köperkult viele der früher der Religion vorbehaltenen Funktionen: „der Körperkult ist eine spätmoderne Sozialform der Religion“, so Gugutzer.
Drei Idealtypen des Körperkults
Typisch für den Körperkult seien kleine bzw. mittlere Transzendenzen, die sich auf das Erfahren von Grenzen sowie auf Grunderfahrungen mit anderen Menschen bezögen. Beim Körperkult würden erfahrbare Grenzen oder auch Zeichen, die die Zugehörigkeit zu einer Subkultur zeigen, eine große Rolle spielen. Dabei definiert Prof. Dr. Gugutzer drei Idealtypen des Körperkults: Der auf Ästhetik und Schönheit bedachte Typ „body-styling" betrachte den Körper als (Kunst-)Werk. Er finde seine Identität in der Selbstgestaltung, typisch seien hier kleine Transzendenzen, die sich auf das Erfahren von Grenzen beschränken. Der Typ „body-tuning“ stelle die sportliche Leistung und Überwindung der eigenen Grenzen in den Fokus. Er betrachte den Körper mehr als Maschine, die Selbstermächtigung durch ehrgeizige sportliche Ziele und deren Erfüllung stehen im Mittelpunkt. Der Typ „body-caring“ sieht den Körper als Leib, zielt auf Gesundheit, allgemeines Wohlbefinden oder auch Spiritualität ab, ohne sportliche und ästhetische Aspekte überzubewerten. Die Handlungsmuster der drei Typen seien sehr heterogen, der Kult um sich selbst, um ein schönes, mächtiges oder auch wahres Selbst stünden dabei im Mittelpunkt. Gerade für den Typ „body-caring“ spiele die Transzendenz eine bedeutende Rolle. Der Welllnesskult sei für ihn eine Variante des Körperkults, Wellness eine Glaubensdoktrin, eine verkörperte Diesseitsreligion. Dies habe auch die Wellnessindustrie aufgegriffen, die einen enormen Aufschwung erfahren habe. Sie biete vielfältige Angebote, habe auch Anleihen aus den verschiedenen Religionen genommen und so den Wunsch nach transzendaler Erfahrung aufgenommen. Von Ayurveda über die Shinto- bis zur Asia-Massage reichen die Angebote, die eine Auszeit von der Hektik und dem Stress des Alltags versprechen. Wellness habe die Bedeutung von religiösen Festzeiten und Ritualen bzw. Erfahrungen erlangt. Auf eine Bewertung, ob der Kult um den Körper nun eher positiv oder negativ zu sehen sei, verzichtet Prof. Dr. Gugutzer. Er gibt aber zu bedenken, dass ein Kult nicht immer schleicht sein müsse und er ihn eher positiv sehe. Eine detaillierte Antwort auf diese Frage und eine Abschätzung der Folgen für die Gesellschaft oder auch den Einzelnen, die in der anschließenden Diskussion gefordert wurde, sei eigentlich nicht Aufgabe des Soziologen, der nur ein bestehendes Phänomen beschreibe.