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Landshuter Doktorand präsentiert neuartiges Kameramodell auf internationaler Fachtagung AGACSE 2024

Mithilfe mathematischer Modellierungswerkzeuge beschreiben Forscher aus der Elektronik und Systemintegration verschiedene Objektivarten und erleichtern so kamerabasierte Messungen

Vom 27.08.2024 bis 29.08.2024 fand die internationale wissenschaftliche Fachtagung „Applied Geometric Algebras in Computer Science and Engineering (AGACSE) 2024“, gemeinschaftlich organisiert von der University of Amsterdam und der University of Cambridge, in Amsterdam statt. Sie ist zentraler Treffpunkt für Spezialisten in der Anwendung der Geometrischen Algebra, einem Teilgebiet der Mathematik, in den verschiedensten Bereichen der Computer- und Ingenieurwissenschaften. Dazu zählen zum Beispiel Maschinelles Lernen, Optik, Robotik sowie Steuerungs- und Regelungstechnik. In diesem Jahr gelang es Simon Hartel, Doktorand an der Hochschule Landshut, gemeinsam mit seinem Betreuer Prof. Dr. Christian Faber einen vielbeachteten Beitrag zu platzieren. Sie stellten ein auf Geometrischer Algebra basierendes neuartiges Kameramodell vor, welches in der Messtechnik Anwendung findet.

Zur Qualitätssicherung in der industriellen Fertigung werden für eine schnelle, berührungslose (und damit zerstörungsfreie) Inspektion häufig optische Messungen, etwa mittels Kameras oder Sensoren, in die Produktionslinie integriert. Die Messaufgaben sind hierbei vielfältig – von der Sicherstellung, dass Bohrungen den richtigen Durchmesser haben, über die Prüfung von Bauteilabmessungen und Toleranzen bis hin zur Fehlererkennung an Lötstellen und Schweißnähten.

Die Schwierigkeit: Von Messungen im Bild auf die wirklichen Abstände schließen

Um objektive Kriterien zur Bewertung anlegen zu können, müssen die meist auf Kameras basierenden Inspektionssysteme kalibriert werden. Das heißt, es muss genau bekannt sein, wie vielen Millimetern in der Wirklichkeit eine bestimmte Anzahl von Kamerapixeln im Bild entsprechen. Hier ergibt sich bei konventionellen Objektiven jedoch ein Problem, denn dieser sogenannte „Abbildungsmaßstab“ hängt vom Abstand ab: Wie man es von seinen eigenen Augen gewohnt ist, erscheinen Objekte, die weiter entfernt sind, kleiner im Bild. Damit müsste man für eine genaue Messung zusätzlich auch immer den jeweiligen Abstand zwischen Objektiv und Objekt bestimmen, was sehr aufwendig wäre.

Eine Lösung bieten hier die sogenannten „telezentrischen Objektive“, bei denen durch geschicktes Optik-Design der Abbildungsmaßstab eben nicht mehr vom Abstand abhängt, sondern unabhängig von der Entfernung immer gleich ist. Gegenstände erscheinen also nicht wie gewohnt kleiner in der Abbildung, wenn sie weiter entfernt sind. Diese Objektive sind für die Messtechnik sehr wichtig, konnten bisher aber nicht mit den bestehenden konventionellen Kameramodellen kalibriert werden. 

Neues Kameramodell ermöglicht die einheitliche Kalibrierung verschiedener Objektivarten

Hier setzten die Landshuter Forscher an: Auf der AGACSE-Konferenz stellten sie ein auf Geometrischer Algebra basierendes neuartiges Kameramodell vor, welches im Gegensatz zu den bestehenden Modellen erstmals in der Lage ist, in einheitlicher Weise unterschiedliche Objektivtypen zu beschreiben. Damit kann es auch für die Kalibrierung der oben beschriebenen telezentrischen Objektive herangezogen werden kann.

Sogar die recht exotischen sogenannten „hyperzentrischen Objektive“, bei denen Gegenstände mit wachsendem Abstand immer größer abgebildet werden – ähnlich wie beim „Scheinriesen Herrn Tur Tur“ von Jim Knopf – können mit diesem Modell beschrieben werden. Das Prinzip wird anhand untenstehender Abbildung eines Würfels verdeutlicht, in der nicht nur die Front-, sondern auch die Seitenflächen des Würfels sichtbar sind. Diese Objektivart wird zum Beispiel zur Inspektion der Außengewinde von Getränkeflaschen mit Drehverschlüssen verwendet, welche auf diese Weise in nur einer einzigen Aufnahme von allen Seiten optisch geprüft werden können.

Vielversprechendes Modellierungswerkzeug wird in Landshut weiterverfolgt

Die Geometrische Algebra, welche Simon Hartel und Prof. Dr. Faber für ihr neues Kameramodell nutzten, zeichnet sich dadurch aus, dass man mit ihr sehr effektiv geometrische Zusammenhänge mathematisch modellieren kann. Daher findet sie in den letzten Jahren auch vermehrt in den Bereichen Computer-Grafik (Software für realistische 3D-Spiele, sogenannte „Game Engines“) sowie Virtual- und Augmented Reality (VR/AR) Anwendung. Aufgrund des wachsenden Interesses der wissenschaftlichen Community an Geometrischer Algebra wurde beschlossen, den Rhythmus der AGACSE-Tagung von jedem dritten auf jedes zweite Jahr zu steigern. Bisher wurde die Tagung alle drei Jahre abgehalten, unter anderem in Tschechien, Brasilien, Spanien, Frankreich, Mexico und in Cambridge, UK. Die nächste Tagung findet 2026 in Peking statt. Auch an der Hochschule Landshut wird dieses Thema in einer dedizierten Arbeitsgruppe von Simon Hartel, Prof. Dr. Christian Faber und Prof. Dr. Jürgen Giersch aktiv weiterverfolgt.

Die Promotion von Simon Hartel findet im Rahmen des vom Bayerischen Staatsministerium für Wirtschaft, Landesentwicklung und Energie mit einer Gesamtsumme von 1,24 Millionen Euro geförderten Verbundprojekts „KISSMe3D“ („Modellbildung und Künstliche Intelligenz für bessere Sensorsysteme in der 3D-Messtechnik“) statt. Auf die Hochschule Landshut entfallen hierbei 362.100€ Fördersumme.


Fotos: Simon Hartel
(Frei zur Verwendung bei Angabe der Quelle)