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Transformation und demografischer Wandel: Komplexe Herausforderungen erfordern Disziplinen übergreifendes Handeln

Das 21. Jahrhundert hat eine Vielzahl von Veränderungen in der Arbeits- und Lebenswelt mit sich gebracht, diese Transformationen haben weitreichende Auswirkungen. Mit den "Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft" befasst sich das Hochschulforum am 14. Oktober 2024. Aus unterschiedlichen Perspektiven warfen Experten an der Hochschule Landshut einen Blick auf die Transformationsprozesse, ihre Wechselwirkungen und komplexen Herausforderungen. Gerade, wenn man an gesellschaftliche Chancen und Lösungen für das 21. Jahrhundert denke, sein ein übergreifender, interdisziplinärer Ansatz erforderlich.

Die Referierenden bei der abschließenden Podumsdiskussion des Hochschulforums.
Die Referierenden bei der abschließenden Podumsdiskussion des Hochschulforums.

Transformation, Veränderungen in Arbeitswelt und Gesellschaft werden uns vielfältig beschäftigen, wie Manfred Weber, Mitglied des Europäischen Parlaments, EVP-Fraktionsvorsitzender in seinem Videogrußwort erklärte. Dabei seien Veränderungen nicht neu, Industrialisierung, Mechanisierung und Automatisierung haben unser Land und unsere Gesellschaft geprägt und vorangebracht. Die heutigen Herausforderungen und auch der demografische Wandel verändern die Gesellschaft: im Jahr 2050 wird es 5 Millionen mehr Senioren und 7 Millionen weniger Menschen im arbeitsfähigen Alter geben, ein Delta von 12 Millionen Menschen.

Es müssten Lösungen gefunden werden. Dabei sei es wichtig, dass allen, die arbeiten wollen, auch die Möglichkeit dazu gegeben werde. Arbeit müsse sich wieder lohnen. Ohne Leistung und Einsatz werde der Wohlstand aber nicht haltbar sein. Auch legale Migration gewinne an Bedeutung, Ausländische Fach- und Arbeitskräfte seien schon heute für Pflegesystem, Tourismus und Industrie unverzichtbar. Insgesamt sehe er aber positiv in die Zukunft, vertraut auf ein starkes Deutschland und eine starke Gesellschaft. Das Hochschulforum beleuchte unterschiedliche Aspekte der Transformation und könne Antworten auf die Herausforderungen geben.

Hochschulpräsident Prof. Dr. Fritz Pörnbacher betont in seinem ebenfalls virtuellen Grußwort die Bedeutung des Lebenslangen Lernens vor dem Hintergrund der aktuellen Transformationen und des demografischen Wandels. Die Hochschule Landshut biete zukunftsorientierte Studien- und Weiterbildungsangebote besonders auch für ausländische Studierende und sei ein wichtiger Impulsgeber für die Region und weit darüber hinaus. Er dankte u.a. der Sparkasse Landshut, die das Hochschulform als Kooperationspartner unterstützte und dessen Vorstand Christian Gallwitz die Bedeutung hervorhob, auch als Sparkasse die Transformation aktiv mitzugestalten.

Das Hochschulforum habe sich zum Ziel gesetzt, Themen mit gesellschaftlicher Relevanz aufzugreifen und aus unterschiedlichen Perspektiven zu beleuchten, wie Hochschulvizepräsidentin Prof. Dr. Silvia Dolllinger betonte, die durch die Veranstaltung führte. Die Transformation erfordere langfristige Prozesse in vielen Teilbereichen mit wechselseitigen Abhängigkeiten. Auch die Veranstaltung biete deshalb eine Multiperspektivität, die auch die vielfältigen an der Hochschule verfügbaren Kompetenzen aufzeige. Das Forum griff die drei Bereiche Berufs- und Arbeitswelt im Wandel, Gesellschaft und Sozialraum in Bewegung sowie neue Wege für Gesundheit, Medizin und Pflege auf. Die Vortragenden machten deutlich, dass die aktuellen Transformationen zu Wechselwirkungen in allen gezeigten Bereichen führen.

Berufe und Qualifikationen im Wandel

Mit dem Strukturwandel auf dem Arbeitsmarkt beschäftigte sich eine Keynote von Dr. Florian Lehmer, Institute for Employment Research IAB. Digitalisierung, Dekarbonisierung, Globalisierung, Krisen besonders aber der demografische Wandel hätten Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Der Zuzug von 400.000 ausländischen Kräften pro Jahr wäre nötig, um den aktuellen Stand an Arbeitskräften halten zu können, die Knappheit werde sich trotzdem verstärken. Durch die Digitalisierung würden zwar Stellen eingespart doch viele neue entstehen gleichzeitig. Zusätzlich gäbe es eine sog. Missmatch der Arbeitslosigkeit, wenn die geforderten nicht mit den angebotenen Qualifikationen übereinstimmen.  Bei der Frage, ob Jobs durch Technik substituiert werden können, sei die KI tatsächlich ein Gamechanger. Das Substituierbarkeitspotenzial lag laut einer Studie im Jahr 2022 bei 38 Prozent der Beschäftigten. Dies treffe jetzt auch vermehrt höherqualifizierte Jobs. Allerdings könne man durch Weiterbildung darauf reagieren.

Die ökologische Transformation finde vor allem in bestehenden Berufen statt, die Zahl von umweltschützenden Kompetenzen wie z.B. in erneuerbarer Energie, Energie- und Ressourceneffizienz – sog. Green Skills – steigen deutlich, umweltschädliche Brown Skills seien rückläufig. Auch viele neue Berufe entstehen, die Hälfte der heutigen Green Jobs habe es 2012 noch nicht gegeben. Berufe die eher umweltschädlich sind, ziehen weniger junge Leute an. Ein Mangel an qualifiziertem Fachpersonal bremse aber die Transformation. Man müsse es schaffen, dass Menschen gerne arbeiten, um ihr Potenzial nutzen zu können.

Automobilproduktion – lean, green, digital

Im Themenblock Berufs- und Arbeitswelt gab Dr. Stefan Kasperowski (Leiter Produktion Hochvolt-Speicher Dingolfing, Regensburg, Irlbach-Straßkirchen, BMW Group) in seinem Vortrag „Transformation Unlimited: Produktion gestern – heute –morgen“ einen Einblick, wie stark sich die Transformation auf einen Automobilkonzern auswirkt. Dies zeige u.a. auch das Beispiel Henry Ford, der durch bei der Einführung der Serienproduktion die Produktionszeit eines Fahrzeugs von 12 Stunden auf 93 Minuten gesenkt habe. Bereits heute seien im BWM Group Werk Dingolfing 2.500 Roboter im Einsatz. Digitalisierung, KI, Sensorik oder auch die Entwicklung von Cobots schaffen immer neue Möglichkeiten und auch eine neue Zusammenarbeit mit dem Menschen. Die Digitalisierung sei grundlegend für Effektivitätssteigerungen, sie ermögliche die nahtlose Zusammenarbeit über Abteilungen, Standorte und über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg.

Besonders auch die Flexibilität auf einer Produktionslinie spiele eine große Rolle. Diese sei der Grundstein der sog. „Neuen Klasse“ und der BMW iFACTORY, in einer Halle können alle Modelle und Varianten produziert werden. Eine Verschmelzung von reeller und virtueller Welt finde per digitalem Zwilling der Produktion statt. „Lean, green, digital, das ist die Zukunft unserer Produktion“ wie Dr. Kasperowski betonte. KI und Robotik werden Megatrends bleiben, Fahrzeuge, Produktionsanlage und Supply-Cain würden immer mehr digital verwoben. Die Mensch-Maschine-Kooperation werde sich verändern, auch durch den Einsatz von humanoiden Robotern. Als Beispiel präsentierte Dr. Kasperowski einen Roboterhund, der bei BMW eingesetzt werde, um Produktionsanlagen zu scannen und zu bewachen. Im Mittelpunkt aller Entwicklungen sieht er aber auch in Zukunft den Menschen, der die Transformation gestalte, und hierzu die nötigen Kompetenzen, Leidenschaft und Wissen haben müsse.

Weitere Einblicke bot das sog. PraxisLab der Veranstaltung. Prof. Dr. Stefanie Remmele und Prof. Dr. Christoph Auer zeigten ein an der Hochschule entwickeltes KI gestütztes Navigationssystem für den Operationssaal. Hierbei werden Augmented Reality eingesetzt, um virtuelle Inhalte unter Einsatz einer VR-Brille mit dem Realbild zu kombinieren, um die Orientierung bei einer Operation zu erleichtern. Ein zweites Beispiel zeigten die Informatik-Studenten Christopher Arleth, Maxim Schmidt, die mit dem Quadruped einen Roboterhund präsentierten, mit dessen Programmierung sie sich im KI-Labor der Fakultät Informatik befassen. In der folgenden Pause hatten die Teilnehmer der Veranstaltung die Gelegenheit, sich einen Eindruck von weiteren an der Hochschule entstandenen Lösungen zu verschaffen – von der Long-Covid Physiotherapie über Virtual Reality über den digitalen Zwilling bei der Produktion bis zum digitalen Toolkit für partizipative Schutzkonzepte in Jugendverbänden.

Transformation: kapitalintensiv und sozialverträglich

Gesellschaft und Sozialer Raum lautete das zweite Schwerpunktthema der Veranstaltung. Mit den Wechselwirkungen von Struktur-, demografischem, technologischem und ökologischem Wandel befasste sich die Volkswirtin Prof. Dr. Christiane Reif (Fakultät Betriebswirtschaft, Hochschule Landshut). Durch den demografischen Wandel sinkt das Arbeitsvolumen und auch das Produktionspotenzial. Dies führt zu minderen Einnahmen der Wirtschaft und damit auch des Staates. Dies habe wiederum Einflüsse auf die Finanzierung der sozialen Sicherungssysteme usw. Gleichzeitig erfordere aber die Dekarbonisierung einen enormen finanziellen Aufwand. Zwar sei man mit den erneuerbaren Energien auf einem guten Weg, allerdings habe man hier erst die am wenigsten Kostenintensiven Schritte vorgenommen. Auch die Digitalisierung biete starke Herausforderungen in den Bereichen Kompetenzen, Infrastruktur, Unternehmen und Öffentliche Dienste. Ein zusätzlicher Aspekt der Transformation sei der Bereich De-Globalisierung – De-Coupling, der aktuell in Handelsbarrieren oder Zöllen für E-Autos sichtbar werde. Die Produktion verändere sich, Resilienz der Lieferketten spiele eine große Rolle. Hohe Anstrengungen und Viel Kapital werde insgesamt erforderlich sein. Die Transformation müsse sozialverträglich gestaltet werden.

Aus der Perspektive des Sozialen Raumes betrachtete Prof. Dr. Marius Otto (Fakultät Soziale Arbeit, Hochschule Landshut) die Veränderungen in der Gesellschaft. Gesellschaftliche Transformation und sozialräumliche Dynamiken passieren parallel, doch können sich Megatrends regional sehr unterschiedlich auswirken. Die zunehmende Digitalisierung, und die Möglichkeit, im Homeoffice zu arbeiten, kann dazu führen, dass weiter entferne Wohnorte interessant werden, ein Wohnraum größere Arbeitsbereich enthalten müsse. Dezentralisierungstendenzen verändern vor Ort die Kaufkraft, den Verkehr, die Mobilität schaffen Veränderungen im Wohnungsmarkt. Die Veränderung der Arbeitswelt habe immer eine soziale Komponente, wie Prof. Dr. Otto betonte. Flexibilisierung habe auch eine Ungleichsdimension, führe zur sozio-ökonomischen Fragmentierung. Wohnorte und auch die Wachstumsregion Landshut und ihre Milieus verändern sich. Es müssten Strategien und passgenaue Lösungen für den passenden Raum entwickelt, und so der soziale und räumliche Zusammenhalt gestaltet werden.  

Perspektiven für Medizin und Gesundheit

Der dritte Teil der Veranstaltung befasste sich mit Fragen Rund um Gesundheit, Medizin und Pflege. Beispiele, wie die KI die Medizin verändern kann, aber auch Risiken zeigte Prof. Dr. Stefanie Remmele in ihrem Vortrag. Seit 2017 würden viele KI-basiere Lösungen in der Medizin entwickelt. Dies besonders im Bereich Bildverarbeitung, mit dem auch sie sich befasse. So könne KI dazu Beitragen Versorgungsengpässe zu lindern. z.B. durch eine App, die Keuchhusten erkennen kann und deren Einsatz die WHO empfiehlt. Doch grundsätzlich sei gerade im Medizinbereich Vorsicht geboten, da falsche Ergebnisse ein erhebliches Risiko bedeuten: So basierte eine KI-Lösung in den USA auf Trainingsdaten von meist weißhäutigen Menschen, was zu verfälschten Ergebnissen führen kann. Auch der KI-Einsatz bei der Mammografie sei erfolgreich getestet worden. Doch könne dies gerade unerfahrene Ärzte dazu verleiten, sich auf diese maschinellen Ergebnisse bei der Entscheidungsfindung zu verlassen. KI in der Medizin erfordere eine Zusammenarbeit ganz unterschiedlicher Disziplinen, wie es an der Hochschule Landshut der Falls sei.

Mit wissenschaftlichen Aspekten zum gesunden Altern befasste sich der Vortrag von Prof. Dr. Aida Anetsberger, Fakultät Interdisziplinäre Studien, Hochschule Landshut. Sie betonte, dass dieser Bereich nicht nur gesellschaftlich und medizinisch-wissenschaftlich, sondern auch ökonomisch von großer Bedeutung sei. Wesentliche Einflüsse für den Alterungsprozess seien u.a. Schäden an Erbsubstanz, Zellen und Geweben oder die Anhäufung von geschädigten Proteinen. Dies führe zu antagonistischen Einflüssen, wie eine gestörte Wahrnehmung von Nährstoffebn und als Folge u.a. zu Erschöpfung der Stammzellen, chronische Entzündungen oder gestörte Darmflora. Dabei seien Cholesterin und chronische Entzündungen Marker für die Alterung. Einige Empfehlungen, gesund zu altern gibt Prof. Dr. Anetsberger mit auf den Weg: Auf ein nicht zu viel beim Nahrungsangebot achten, aber auch keine längeren Fastenperioden einlegen, Frühstücken ist deshalb wichtig. Gesunde Ernährung und vor allem Bewegung seien von großer Bedeutung.

Bei der abschließenden Podiumsdiskussion stellte Moderatorin Prof. Dr. Silvia Dollinger den Referenten der Veranstaltung u.a. die Frage, wie die Transformation erfolgreich für das 21. Jahrhundert genutzt werden könne. Für Prof. Dr. Anetsberger sollten die Vorteile der Technik miteinander entwickelt und genutzt werden, dabei müssten geschlechts- und altersspezifische Faktoren berücksichtig werden. Auch für Prof. Dr. Remmele müssten Disziplinen stärker zusammenwachsen, um die komplexen Herausforderungen meistern zu können. Dr. Kasperowski betont, wir sollten uns wieder eine Offenheit gegenüber neuen Technologien aneignen und uns auf unsere Stärken besinnen, um voranzukommen. Als Gesellschaft Technologie und Interaktion von Menschen zusammen zu bekommen und genug Bildung zur Verfügung zu stellen lautet für Prof. Dr. Reif die Herausforderung. Für Prof. Dr. Otto steht der soziale Zusammenhalt, die Solidarität im Fokus, um mögliche Zerwürfnisse in den Griff zu bekommen. Für Dr. Lehmer als Arbeitsmarktökonom stehen grundsätzlich die Chancen der Transformation im Vordergrund, wenn wir alle zusammenhalten, schaffen wir das, ist er überzeugt.

Die Referierenden bei der abschließenden Podumsdiskussion des Hochschulforums.
Den Strukturwandel im Arbeitsmarkt beleuchtete Dr. Florian Lehmer (IAB).
Transformation unlimited bei der Automobilproduktion zeigte Dr. Stefan Kasparowski (BMW Group).
Praxisbeispiel eines KI gestützten Navigationssystem für den Operationssaal.
Prof. Dr. Christiane Reif sprach über Wechselwirkungen der Transformation aus volkswirtschaftlicher Perspektive
Auswirkungen der Transformation im Sozialraum thematisierte Prof. Dr. Marius Otto.
Chancen und Risiken des KI-Einsatzes in der Medizin hinterfragte Prof. Dr. Stefanie Remmele.
Mit wissenschaftlichen Aspekten des gesunden Alterns befasste sich der Vortrag von Prof. Dr. Aida Anetsberger.