Als Isabell am Anfang ihres Studiums aufgrund ihrer Gehörlosigkeit die Leistungen eines Gebärdensprachdolmetschers in Anspruch nahm, drohten ihr im zweiten Semester 20.000 Euro Schulden, da ihr die Kostenübernahme vorerst verweigert wurde. Diese und ähnliche Beispiele beschreiben Prof. Dr. Clemens Dannenbeck, Prof. Dr. Uta Benner und Carmen Böhm von der Hochschule Landshut in ihrem jetzt veröffentlichten Abschlussbericht. Sie erforschten im Rahmen des Forschungs- und Praxisverbunds „Inklusion an Hochschulen und barrierefreies Bayern“, wie gehörlose Menschen die Möglichkeiten der akademischen Bildung in Bayern erleben. Dazu interviewten sie gehörlose Personen, die entweder studierten oder ihr Studium bereits abgeschlossen bzw. abgebrochen hatten. Das Ergebnis ihrer Auswertung: Die Studienbedingungen für Gehörlose haben sich in Bayern im Vergleich zu früher zwar verbessert. Trotzdem erleben gehörlose Studierende nach wie vor einen organisatorischen Mehraufwand, unzureichende Unterstützung, mangelndes Verständnis und sozialen Ausschluss.
Zusätzliche Belastung für gehörlose Studierende
„Wir müssen die Rahmenbedingungen für gehörlose Studierende weiter verbessern“, betont Benner, Professorin an der Fakultät Interdisziplinäre Studien. Ihr Kollege Dannenbeck ergänzt: „Unsere Forschungsergebnisse machten deutlich, in welchen Bereichen nach wie vor Bedarf an den bayerischen Hochschulen besteht.“. So geht der Studienbeginn für Gehörlose meist mit langwierigen Beantragungs- und Widerspruchsverfahren einher, beispielsweise wenn sie auf kommunikative Hilfen wie Dolmetscherdienste angewiesen sind. Zwar hat sich die Suche nach solchen Leistungen in den letzten zehn Jahren deutlich vereinfacht, die Betroffenen müssen diese jedoch nach wie vor selbst beauftragen. Hinzu kommt, dass viele Dozierende nicht alle Informationen verschriftlichen bzw. ihre Skripte zur Verfügung stellen. Viele Gehörlose müssen daher ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen um deren Mitschriften bitten, was nicht immer auf Verständnis stößt. Dadurch fühlen sie sich ausgeschlossen, nehmen sich als Außenseiter wahr oder scheitern an Situationen, die mit ihrer Gehörlosigkeit einhergehen, z.B. indem sie Prüfungen nicht bestehen.
Professionelle Beratung und Fortbildung
„Gehörlose Studierende zeigen oft ein hohes Maß an Selbstsorge, Fleiß und Ehrgeiz. Wenn sie die ganze Energie, die sie für den Verwaltungsaufwand und die Erarbeitung neuer Lernstrategien aufbringen müssen, effektiv für ihr Studium nutzen könnten, wäre das für sie eine große Erleichterung“, berichtet Benner. Das Forschungsteam der Hochschule Landshut zeigt in seinem Bericht daher auf, wie Hochschulen konkret die Rahmenbedingungen für Gehörlose verbessern können: Neben der gezielten Beratung, Unterstützung und Begleitung im Studium (z.B. bei der Beantragung von kommunikativen Hilfen) empfehlen die Forschenden Aus- und Fortbildungsprogramme für Hochschulangehörige, um deren kommunikativen Kompetenzen zu stärken und über kommunikative Barrierefreiheit (z.B. mittels mobile Übertragungsanlagen) aufzuklären. Auch die Förderung von weiteren Forschungsprojekten in dieser Richtung sei wichtig.
Kostenfreies Infomaterial für Hochschulen
Mittels ihrer gewonnenen Erkenntnisse entwickelten die Forschenden zudem Informationsmaterial, das den bayerischen Hochschulen kostenfrei zur Verfügung steht. „Wir wollen schließlich nicht nur forschen, sondern auch praxisnah weiterhelfen“, so Benner. Aus diesem Grund möchte das Landshuter Forschungsteam gerne im nächsten Schritt ein Beratungskonzept entwickeln und implementieren, um die kommunikative Barrierefreiheit an bayerischen Hochschulen konkret zu verbessern. „Einen ersten Projektentwurf haben wir schon aufgesetzt“, erzählt Benner, „es wäre toll, wenn wir dieses Projekt auch umsetzen könnten.“
Die Informationsmaterialien für Hochschulen und Universitäten werden online veröffentlicht unter:
www.haw-landshut.de/studium/im-studium/bibliothek/publikationsserver.html
(Publikationsserver der Hochschule Landshut) und
Über das Projekt
„Gehörlos Studieren in Bayern“ ist ein Teilprojekt des Forschungs- und Praxisverbunds „Inklusion an Hochschulen und barrierefreies Bayern“, das von Anfang 2017 bis März 2019 lief. Mit dem Ziel der praxisorientierten Inklusions-Forschung sind in diesem Verbund neben der Hochschule Landshut auch die Universitäten Bayreuth und Würzburg sowie die Technische Hochschule Deggendorf, die Hochschule Ansbach sowie die Hochschule für angewandte Wissenschaften München beteiligt. Die Projektleiter an der Hochschule Landshut sind Prof. Dr. Clemens Dannenbeck und Prof. Dr. Uta Benner; die Gesamtprojektleitung liegt bei der Julius-Maximilians-Universität Würzburg. Die Finanzierung des Projekts übernimmt der bayerische Landtag. Die Gesamtsumme liegt bei 1 Million Euro.
Weiterführende Informationen zum Projekt erhalten Sie unter der E-Mail-Adresse gehoerlos.studieren@haw-landshut.de
Foto: Hochschule Landshut
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